Nachtabschaltung: Vorteile und Strategien gegen Unbehagen
Hintergrund
Öffentliche Beleuchtung bietet zweifelsohne Komfort und Orientierung und dient teils auch Gestaltungsansprüchen. Sie ist jedoch auch ein Mitverursacher von Lichtimmissionen, die seit langem als schädliche Umwelteinwirkung erfasst sind und sich nachteilig auf Tierwelt, insbesondere auf dämmerungs- und nachtaktive Insekten, auf die Sichtbarkeit des Sternenhimmels und die Schlafqualität der Menschen auswirken. Zudem sind Bereitstellung und Betrieb von öffentlicher Beleuchtung mit enormen Ressourcen- und Energiekosten verbunden und damit auch ein wesentlicher Klimafaktor - nicht selten machen sie einen erheblichen Teil der Stromkosten einer Kommune aus. Von den 4000 Nachtstunden pro Jahr liegen 2900 zwischen 22 und 6 Uhr - zu einer Zeit, in der vielerorts und besonders in der kalten Jahreszeit kaum noch Menschen auf der Straße unterwegs sind.
Viele Kommunen in Deutschland schalten (teils seit Jahren) die Straßenbeleuchtung in den nächtlichen Kernstunden in der Regel ab 22:30 Uhr teils oder komplett ab, darunter auch größere Städte wie Königswinter (LED-Anteil = 95 %); Moers (seit 2012) und Gütersloh [1]. Auch in den europäischen Nachbarländern wird flächendeckend abgeschaltet – in Frankreich mehr als 12 000 Kommunen [2]. Probleme, die aus einer Nachtabschaltung resultieren, sind nicht bekannt. Zahlreiche Untersuchungen [3], Polizeistatistiken, die Auswertung öffentlicher Meldungen und Erfahrungen in Kommunen, die nachts abschalten, belegen, dass kriminelle Zwischenfälle an nicht oder wenig erhellten Orte keineswegs häufiger sind als an beleuchteten Orten, zumal Vorfälle grundsätzlich multikausal zu betrachten sind.
Nächtliche Abschaltungen können außerdem, insbesondere in Anwohnergebieten, eine Steigerung der Lebensqualität bedeuten – etwa, weil Menschen ohne Lichtimmissionen von außen in ihren Wohnungen besser schlafen und wieder den Sternenhimmel vom eigenen Balkon sehen können. Zudem ist es ein gutes Gefühl, mittels Abschaltungen etwas äußerst Wirksames für Arten- und Klimaschutz zu tun und den Ressourcenverbrauch zu reduzieren. Tatsächlich verfolgt die Neufassung der Bundes- und Landesnaturschutzgesetzgebung das ausdrückliche Ziel, die natürliche Nacht in vielen Bereichen wiederherzustellen. Es sprechen also viele Gründe dafür, wieder mit weniger Kunstlicht bei Nacht zufrieden auszukommen, denn Lichtimmissionen entstehen in Siedlungen.
Gegen das Unbehagen bei Dunkelheit
Trotz vieler Vorteile bereitet einigen Menschen die Schwachlichtumgebung der späten Nacht Unbehagen. Vor allem dann, wenn man es nicht gewohnt ist und auch deshalb, weil kaum andere Fußgänger unterwegs sind. Dieses Unbehagen wird oft medial geschürt (z.B. in Krimis) oder populistisch genutzt (z.B. Lichtmachen statt präventiver Sicherheitsmaßnahmen) und Abschaltungen müssen für so manche „Parole“ herhalten. Studien zeigen, dass die lokale Bevölkerung Abschaltungen durchaus differenziert bewertet [4] und Vorteile durchaus verstanden werden. Der Begriff „Sicherheit" sollte daher nicht als Scheinargument für mehr Licht genutzt werden, da dies zum einen den Bemühungen des Natur-, Klima- und Ressourcenschutzes zuwiderläuft und zum anderen nicht belegt ist, dass dadurch ein Unbehagen reduziert wird [5]. Dieses Gefühl kann sich bei manchen Personen vornehmlich dann einstellen, wenn sie alleine ohne Begleitung unterwegs sind. Das ist am Tag an unbelebten Orten wie auf einem einsamen Waldweg genau so der Fall wie in der Nacht, selbst entlang beleuchteter Straßen und Unterführungen [6]. Unbehagen im schwachen Nachtlicht oder an unbelebten Orten ist in der Regel subjektiv begründet. Objektiv gesehen, gibt es keinen Nachweis, dass Licht Vorfälle verhindert [7]. Daher ist die Einsicht unter Betrachtung der Erkenntnis wichtig, dass Licht nicht „Sicherheit“ suggerieren sollte, wo jedoch kein Schutz vorhanden ist. Licht kann u.U. nichts verhindern, ggf. sogar eher ermöglichen:
Beleuchtung kann dazu führen, dass man auf Wege gelenkt wird, die vermeintlich sicher wirken, aber außerhalb sozialer Kontrolle an menschenleeren Orten liegen;
sehr helle Lichtquellen können zu Blendung und starken Kontraste führen und Sehfähigkeit soweit herabsetzen, dass man in der dunklen Umgebung kaum etwas erkennt;
je nach Grad der Blendung können Unbehagen, Unsicherheit und Ermüdung (psychologische Blendung) auftreten;
Beleuchtung kann einen unangenehmen ‚Laufstegeffekt‘ verursachen;
Licht macht öffentliche Räume attraktiver zum Verweilen, was mancherorts mit Alkoholkonsum, nächtlichem Lärm und Vermüllung einhergeht, was wiederum bei unbeteiligten Anwohnenden Unbehagen verursachen kann.
Des Weiteren verleitet Beleuchtung zu schnellerem nächtlichen Fahren, was der Verkehrssicherheit zuwiderläuft.
Subjektive Befürchtungen sollen selbstverständlich ernst genommen werden - jedoch muss eine sachliche und faktenbasierte Auseinandersetzung den Dialog bestimmen; auch unter Abwägungen von Umwelt-, Artenschutz- und Klimabelangen. Dazu gehört auch die Erkenntnis, dass Beleuchtung gern wirksameren aber aufwändigeren Präventions- und Sicherheitsmaßnahmen vorgeschoben wird.
Tipps gegen Unbehagen bei Nachtabschaltung
Die Nachtabschaltung erfolgt üblicherweise nicht vor 22:30 Uhr, also erst in den Nachtstunden. Man wird feststellen, dass es auch ohne öffentliche Beleuchtung durch natürliches Licht (Mondlicht), Fensterlicht, Hausnummer- und Werbebeleuchtung, reflektierende Wolken, Anstrahlungen etc. oft ausreichend hell zum Sehen ist und die Dunkelheit sich eher als Schwachlichtumgebung erweist. Das eigenverantwortliche Mitführen von Taschenlampen bzw. Smartphones unterstützt.
Das Unbehagen verschwindet oder mindert sich, wenn man in Gesellschaft vertrauter Menschen unterwegs ist. D.h., man kann sich gemeinsam für den Nachhauseweg verabreden; z.B. per Messenger-Dienste eine Heimweggruppe anlegen oder Freunde, Familie oder Bekannte anrufen, die einen am Telefon „begleiten“.
Von entgegenkommenden Menschen geht grundsätzlich kein Risiko aus: Studien zeigen, dass eine erhöhte Furcht vor Mitmenschen unter anderem mit einem erhöhten Misstrauen gegenüber anderen Menschen korreliert, was wiederum mit hohen individuellen und gesellschaftlichen Kosten verbunden ist [8]. Laut Heimwegtelefon e.V. gibt es wirksame Trainings, um mögliche Furcht zu überwinden.
Abgelegene Orte wie Parks sollte man meiden, da sie außerhalb der sozialen Kontrolle liegen – ob beleuchtet oder nicht. Am besten läuft man entlang von Straßen oder innerhalb von Wohnbereichen, wo man gehört werden würde. Auch bei Abschaltung befindet man sich stets innerhalb einer Siedlung, die an sich einen geschützten Raum darstellt.
Heimweg-Apps wie die Nora-App (offizielle Notruf-App der deutschen Bundesländer), die Begleit-Apps Wayguard oder Life360, die den Livestandort per GPS verfolgen, helfen, das Unbehagen zu mindern. [9]. Das Heimwegtelefon, dessen Begleit-Service von ehrenamtlichen Mitarbeitenden betreut wird, erreicht man unter Tel. (030) 12074182.
Kommunen können seriöse und wirksame Angebote einführen: z.B. eine Wegführung, die die Menschen zusammenführt statt zu trennen; Schul- und Radweg-Lotsen für Schüler „Wir laufen/radeln gemeinsam zur Schule“; Disco-Shuttles; Heimbringservice; flexibles Anhalten des Linien-Buses, vergünstigte Taxifahrten. Dazu gehören auch niedrigschwellige präventive Beziehungsberatungsangebote (wie z.B. Schutzambulanz Fulda) zur Reduzierung von Konfliktpotenzial, denn Frauen sind grundsätzlich nicht im öffentlichen Raum, sondern durch nahestehende Personen von Gewalt betroffen.
Mit etwas Gewohnheit kann man der Nachtabschaltung viele Vorteile abgewinnen wie besserer Schlaf, Sternenhimmel mitten im Ort und im Garten/Balkon und das Wissen um wirksamen Klima- und Artenschutz.
Quellen:
[1] Die 2022 in Königswinter eingeführte Nachtabschaltung (LED-Anteil 95 %) wurde vom Polizeipräsidium Bonn begleitet mit dem Ergebnis, dass es keine Veränderungen gab. Vorlage 134/2023 (koenigswinter.de). Gütersloh spart 60 000 kWh/Monat, auch hier keine Veränderung in der Polizeistatistik: Ab 11. Oktober startet die nächtliche Abschaltung der Straßenbeleuchtung – Gütersloh (guetersloh.de) Moers: FAQ-Liste zur Nachtabschaltung der Straßenbeleuchtung in Moers (Stand: 01.12.2022) | Stadt Moers. Heidenheim,
[2] Nachtabschaltung in Europa: https://www.lichtverschmutzung-hessen.de/Nachtabschaltung
[3] Steinebach-Arbeit mit der größten Datenmenge (siehe auch Referenzen): https://jech.bmj.com/content/69/11/1118.full
[4] Reduced street lighting at night and health: https://doi.org/10.1016/j.healthplace.2015.05.011
[5] “What might reduce crime does not reduce fear”: https://csl.mpg.de/613641/what-might-reduce-crime-does-not-reduce-fear-of-crime
[6] Studie BKA (2022) „Sicherheit und Kriminalität in Deutschland“ (siehe auch Referenzen)
[7] Schulte-Römer. 2022. Trügerische Sicherheit. Forum Stadt. 49 (3) 2022: 279-293. ISSN: 2192-8924
[8] Publikation des Zentrum für Kriminalitätsforschung, W1_PaWaKS_Kriminalitaetsfurcht.pdf (zkfs.de)
[9] Die besten Sicherheits-Apps für den Nachhauseweg - Sicher durch die Nacht (inrlp.de)
Weitere Referenzen:
Die Studie „The effect of reduced street lighting on road casualties and crime in England and Wales: Controlled interrupted time series analysis” https://jech.bmj.com/content/69/11/1118.full basiert auf der größten erfassten Datenmenge und zeigt keinerlei Zusammenhang zwischen Reduzierungen/Abschaltungen und Unfällen/Einbrüche/Kriminaldelikten. Spätere Untersuchungen, Polizeistatistiken, die öffentliche Berichterstattung (z.B. : Plattform für Presseberichte von Polizei, Feuerwehr, Zoll und anderen Behörden | Presseportal und Erfahrungen in Kommunen mit reduzierten bzw. abgeschalteter nächtlicher Beleuchtung belegen ebenfalls keinen Zusammenhang.
Licht mindert die Furcht/das ungute Gefühl bei manchen Menschen (vornehmlich Frauen) nicht, wenn man alleine unterwegs ist: Studie zur Kriminalitätsfurcht (2022): https://www.bka.de/DE/UnsereAufgaben/Forschung/ForschungsprojekteUndErgebnisse/Dunkelfeldforschung/SKiD/Ergebnisse/Ergebnisse_node.html Furcht kann bei manchen Menschen durch einen Aufenthalt allein an unbelebten oder verwahrlosten Orten entstehen.
Statistisch gesehen, finden sexuelle Übergriffe nicht an dunklen Orten oder hell erleuchteten Straßen statt, sondern in den eigenen vier Wänden (Beziehungstaten). Aussage Zentrum für Kriminalitätsforschung https://www.zkfs.de/pawaks/ und BKA 2022: https://www.bmfsfj.de/bmfsfj/aktuelles/presse/pressemitteilungen/haeusliche-gewalt-im-jahr-2022-opferzahl-um-8-5-prozent-gestiegen-dunkelfeld-wird-staerker-ausgeleuchtet-228400
Autos werden unter Leuchten doppelt so oft aufgebrochen: https://link.springer.com/content/pdf/10.1007/s10940-022-09539-8.pdf (2022)
Die Gefährdung der Verkehrsteilnehmer ist höher durch Kollisionen mit Lampenmasten als durch fehlende Beleuchtung (Seite 68): TAB - Themen und Projekte - Projekteübersicht - Lichtverschmutzung – Ausmaß, gesellschaftliche und ökologische Auswirkungen sowie Handlungsansätze (tab-beim-bundestag.de)
Weitere Informationen (z.B. zum Thema StVO, Verkehrssicherheit, Beleuchtungspflichten, etc.) sind auf Anfrage erhältlich.
Diese Informationen erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Sie werden fortgeschrieben; Stand dieser Information: 14.02.2024_1